Wikileaks – kommt die Demokratisierung der Information?

Am 28.2.2011 fand ein DerStandard-Montagsgespräch in Zusammenarbeit mit dem World-Information Institute statt. Im Haus der Musik diskutierte man u.a. die Frage, wie sich die Grenzen zwischen Geheimhaltung und Transparenz bei Regierungen und großen Konzernen verschieben.

Es diskutierten:

  • Daniel Domscheit-Berg / Ex-Wikileaks Sprecher, Openleaks
  • Constanze Kurz / Chaos Computer Club Berlin
  • Peter Pilz / Nationalratsabgeordneter Die Grünen
  • Konrad Becker / World-Information Institute
  • Moderation: Alexandra Föderl-Schmid / Chefredakteurin Der Standard

Da einige Leute nicht mehr in den überfüllten Saal konnten und ich (noch) keine Aufzeichnung entdecken konnte, hier meine Mitschrift – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und durch zwei Pausen unterbrochen. 🙂

Neue Rollen und Intermediäre

Pilz: Gerade entstehen neue Formen der Kommunkation: BloggerInnen demonstrieren auch eine neue Rolle von PublizistInnen, die Tools zur Verfügung stellen, um Inforamtionen zu analysieren und aufzubereiten. Hier geht es nicht nur um Foren der Meinungsbildung, sondern darum, die Informationsaufbereitung auf eine breitere demokratische Ebene zu stellen.

Kurz: Die Presse muss diese Aufbereitung leisten um auf lange Zeit zu überleben. Besonders wichtig ist, direkt auf die Daten zugreifen zu können.

Domscheit-Berg: Die Welt ist nicht schwarz-weiß und mit einer einfachen Logik kommen wir zu keinem sinnvollen Ergebnis. Viele Leute vertrauen Medien nicht mehr wie vor einigen Jahrzehnten, was zum einen an einer Zentralisierung der Medien, zum anderen an der journalistischen Landschaft und der finanziellen Situation der Medien zu tun hat. Die BürgerInnen wollen in der Berichterstattung mehr Unabhängigkeit; das Veröffentlichen von Rohdaten und Dokumenten ist hier ein Ansatz, weil sich der/die Einzelne dabei keine Gedanken machen muss, ob hier etwas verkauft wird. Auf der anderen Seite ist Kontext wichtig: ein Mittelweg ist daher zu finden.

Föderl-Schmid: Für Kontroversen hat die Tatsache gesorgt, dass Daten an Wikileaks auch verkauft wurden – wo ist hier die Grenze?

Domscheit-Berg: Bei hochwertigem Material war dies der Fall; es wurde sogar darüber gesprochen, exklusiv zu verkaufen, wobei man sich von dem eigentlichen Ziel, die Öffentlichkeit zu informieren, sehr weit entfernte (“Dealerei von Information”). In dem Moment hintergeht man ebenso die Öffentlichkeit, weil man finanzielle Interessen der Aufklärungsarbeit voranstellt.

Föderl-Schmid: Inwieweit ist auch die rechtliche Situation des Standorts relevant? In Großbritannien sind in Bezug auf das Medienrecht z.B. Entschädigungszahlungen höher und beträchtliche Unterschiede in Europa, aber auch weltweit sind zu finden. Inwieweit wurde dies berücksichtigt und hat auch Österreich in einer Form eine Rolle gespielt?

Domscheit-Berg: Die Publikationsfrage ist ein anderer rechtlicher Bereich. Das meiste betr. Quellenschutz wurde aus Schweden heraus gemacht. Bei publizistischen Tätigkeiten ist der Erfüllungsstandort relevant, egal, wo man letztendlich publiziert. Diese Rechtsfragen sind bisher nicht gelöst, weil es kaum Standards gibt. Obwohl wir in einer globalisierten Welt leben, ist diese Problematik nationalstaatlich begrenzt.

Gesetzliches Umdenken nötig

Pilz: Welche Art von Gesetzen brauchen wir? Staatliche Geheimnisse hängen mit dem Missbrauch von staatlicher Gewalt zusammen. Erfahre ich ein staatliches Geheimnis und veröffentliche ich es, verletze ich den § 13 (Missbrauch des Amtsgeheimnisses). Solange es diesen gibt, ist jedeR ein potentieller Krimineller, wenn er sich an eineN AbgeordneteN wendet. Daher ist ein neues Gesetz notwendig, das besagt: Wenn jemand sich an eine andere Person wendet, weil er/sie aus begründeten Annahmen der Meinung ist, dass hier Gesetze gebrochen oder schwere Dienstpflichten verletzt werden, und wenn diese Person selbst keine rechtl. Verletzung begeht, soll diese ein spezielles Recht haben. Solange das nicht geändert wird, sind der Versuch, einen Amtsmissbrauch zu verhindern, ein krimineller Akt. Solange sind auch die nettesten PolizistInnen und StaatsanwältInnen verpflichtet, dies zu verfolgen. Gerade JournalistInnen kleinerer Medien und BloggerInnen können sich nicht wehren.

Föderl-Schmid: Macht es überhaupt Sinn, auf österreichischer Ebene etwas anzugehen, warum nicht an EU orientieren?

Pilz: In Österreich sollte zumindest das Schlimmste verhindert werden 🙂

Föderl-Schmid: In Deutschland ist zumindest das Bundesverfassungsgericht ein gewisses Bollwerk, zumindest was Datenschutz etc. betrifft…

Kurz: Das hat einige Zeit gebraucht. In Deutschland wartet man z.B. bis heute darauf, dass die EU-Kommission Daten vorlegt.

Föderl-Schmid: Was fehlt in Österreich? In Australien gibt es z.B. Information Officer, an die sich BürgerInnen wenden können, wenn Ihnen die Auskunft von den Behörden verweigert wird.

Becker: Es gibt in Österreich eine Attitüde, Informationen nach Gutsherrenart zu verwalten. In der Tat ist für ganz Europa eine Open Data-Diskussion benötigt. Hier gilt es zu diskutieren, welche Daten von öffentlichem Interesse sind und welche nicht. Wünschenswert wäre ein Grundverständnis, z.B. über einen Freedom of Information weg, wo die Information der BürgerInnen als Grundrecht verankert wird. Möglichkeiten im politischen System sich zu informieren sind bis dato extrem eingeschränkt. Was ganz Europa betrifft, so ist Europa stolz auf seine Datenschutzbestrebungen, allerdings wandern unsere Daten über Nacht nach Amerika… und werden dann wieder nach Europa zurückgeschickt.

Föderl-Schmid (an Domscheit-Berg): Wodurch unterscheidet sich ihr Projekt von Wikileaks?

Domscheit-Berg: Keines dieser Projekte wird uns in eine entweder-oder-Situation bringen; eine Whistleblower-Plattform leistet anderes als der Staat, der sich öffnen muss (das kann keine Plattform abfangen).

Föderl-Schmid: Wird Wikileaks zu einem Paradoxon führen, dass statt mehr Transparenz gerade noch weniger schriftlicher Austausch stattfinden wird?

Domscheit-Berg: Es muss eine engere “Vermashung” mit den BürgerInnen und der Öffentlichkeit geben: Rohdaten alleine bringen nichts, sondern der/die BürgerIn muss sich auch dafür interessieren. Darüber hinaus müssen die Informationen dorthin kommen, wo sie die Leute finden. Einfaches Publizieren erreicht die Leute nicht, weshalb hierfür PartnerInnen nötig sind.

Whistleblowing-Plattformen: Die Partnerfrage

Föderl-Schmid: Ist auch möglich, dass das Material an PolitikerInnen weitergeleitet wird?

Domscheit-Berg: Wir arbeiten nur mit Organisationen zusammen, die ein Interesse daran haben, die Öffentlichkeit aufzuklären, wobei etwa 100 Organisationen bedient werden können (wird etwa 50/50 zwischen Medien und unabhängigen Organisationen aufgeteilt sein).

Pilz (hält von diesem Modell wenig und findet dies problematisch). Der Zufall und journalistische Macht entscheidet darüber, wer die unstrukturierten Daten interpretiert. Wenn man außerdem die Quelle entscheiden lassen, wo veröffentlicht wird, lastet man der Quelle eine Verantwortung auf, die sie niemals tragen kann. Die Quelle kann in der Regel keine Ahnung von einem sinnvollen Umgang mit der Information haben und wird sich u.U. für das mächtigste Medium entscheiden. Im Bereich heikler Prozesse kann dies zu einer fatalen Fehlinterpretation führen (Frage der Interpretationsmacht).

Domscheit-Berg versteht diese Einwände, sieht allerdings nicht, dass das realistisch so laufen wird. Viele Quellen wissen seiner Erfahrung nach doch, wo sie etwas publizieren können. Pilz wendet hier ein, dass insbesondere in Korruptionsgeschichten Quellen oft nicht wissen, wer bestimmten Interessen verpflichtet ist oder nicht. Vom anonymen Kuvert unterscheidet eine journalistische Qualität.

Föderl-Schmid: Wie will man verhindern, dass man Zuarbeiter für Boulevard-Medien wird und wie stellt man eine gute Auswahl sicher?

Domscheit-Berg: 50 % der Slots werden selbst definiert werden, wobei allerdings noch nichts in Stein gemeißelt ist. 50 % werden an existierende Organisationen (NGO-Bereich) vergeben werden. 50 % werden über ein öffentliches Voting vergeben werden, sodass auch die Öffentlichkeit mitteilen kann, wem sie ein solches Werkzeug gerne in die Hand geben möchte (Demokratisierung der Vergabe).

Kurz: Der Whistleblower kann die Einordnung der Information meist besser als Fremde einschätzen.

Publikumsmeldung: Das Interessante am Netz ist die Intelligenz der Masse und nicht wieder ein Elitenprojekt, wo jemand bestimmt, wer was lesen darf.

Pilz: Bei der Beschäftigung mit sensiblen Dokumenten (N. Kampusch) würde ich niemals an die Öffentlichkeit gehen. Zum einen wegen sensibler persönlicher Daten, zum anderen wegen der Unverständlichkeit eines Polizeiaktes. Es wird nichts anderes übrig bleiben als zu definieren, wer die Aufgabe der Strukturierung und Erklärung übernehmen wird.

Domscheit-Berg sieht sich nur als Lösung für einen Teil des Problems und nicht als eine Plattform, die alles für sich alleine beansprucht.

Publikumsfrage: Auch der Staat hat in bestimmten Bereichen ein legitimes Interesse an Datenschutz, was sind diese Bereiche, die tatsächlich von Staatsseite Schutz bräuchten?

Pilz: Der heikelste Bereich ist der der klassischen Sicherheitspolitik. Alle Informationen der öffentlichen Hand sind öffentlich und Ausnahmen müssen genau festgelegt werden. Das System muss auf den Kopf gestellt werden.

Becker: Man muss sogar über den Freedom of Inforamtion Act-Level hinausgehen. Ohne den Technikhype zu bemühen stehen wir vor massiven gesellschaftlichen Veränderungen (Kulturproduktion, Arbeitsweise, Netzwerke, Machtverteilungen). Eine computerlesbare Schnittstelle zu Regierungsinformationen ist notwendig. Im 21. Jhdt. kann kein Amtsblatt oder eine Wr. Zeitung die Schnittstelle zu wichtigen Informationen für BürgerInnen sein.

Pilz: Bei Bauplänen ist die Wahrung des Amtsgeheimnisses nicht sinnvoll. Im Gegensatz dazu gibt es bei der Diplomatenpost ein Interesse an der Vertraulichkeit.

Publikumsmeldung: Frage zu Bradley Manning (als Wikileaks-Informant verdächtigt und inhaftiert): Wird Openleaks hier Maßnahmen setzen?

Domscheit-Berg stellte fest, dass dieser ein wenig in Vergessenheit versinkt, aber leider auch am Anfang des Projekts keine Möglichkeit zur Unterstützung sieht. Auf der anderen Seite versuchen Leute im Wikileaks-Kontext diese Geschichte ins öffentliche Gedächtnis zu rufen. Zumindest hilft dies dabei, dass mehr Leute von diesem Schicksal erfahren. Problematisch ist, dass u.a. aufgrund der amerikanischen Informationspolitik die Informationslage schlecht ist und daher keine einfache Positionierung möglich ist.

Zum Status quo eines Kampfes

Föderl-Schmit: Inwieweit ist der Prozess, mehr Transparenz in Bezug auf Information durchzusetzen, in Österreich fortgeschritten?

Pilz: Grundrechtsbewusstsein und bürgerlich-demokratische Kultur wäre aus dem fast-Nichts zu entwickeln, was eine der schwierigsten Fragen unserer Politik ist (gemeinsames großes Problem). Nach 9/11 war klar, dass die Informationsvernetzung im Nachrichten- und Sicherheitsdienst nicht funktioniert. Durch ein großes Sicherheitsnetzwerk konnten kleinste Mitglieder plötzlich auf fast alles zugreifen und wurden zu potentiellen HochverräterInnen. Der Streit um den freien Journalismus im Printbereich ist in den westlichen Demokratien im Grunde entschieden, jedoch nicht im Netz: Meinungsfreiheit im Netz ist ein umkämpftes Gut – bis 2020 stehen die Chancen insofern gut, als niemand wirklich die Chance hat, den nicht angreifbaren Bereich des Journalismus im Kern anzugreifen. Die Chancen, dass das Internet nachzieht und auf Freiheitsstandards kommt, ist relativ groß, weil sonst die Meinungsfreiheit in allen Bereichen bekämpft werden müsste, was in einem demokratischen Rechtsstaat wie Österreich nicht mehr möglich ist.

Becker: Hier geht es nicht nur um die Frage des Journalismus. Das Verwalten von Datenströmen ist auch in der Sicherheitsindustrie ein Riesengeschäft (signifikante Entwicklung der letzten 20-30 Jahre).

Domscheit-Berg: Eine reife und und für das Informationszeitalter zeitgemäßes Rechtspaket wird in Island versucht. Dieser Impuls sollte idealerweise mehrere Länder erfassen (weg von einer Überklassifizierung im Sinne der Ausnahme der Geheimnisse in Richtung einer Welt, die weniger Angst vor Offenheit hat).

Kurz: Zukünftige Plattformen werden sich insbesondere daran messen lassen, dass sie tatsächlich technisch in der Lage sind, den Whistleblower effektiv zu schützen, eine Infrastruktur haben, die ein Zurückschießen nicht erlaubt, die die Kompetenz haben, um eindeutige Merkmale von Dokumenten zu bestimmen und die in der Lage sein wird, die Öffentlichkeit für einen Whistleblower herzustellen. Open Data etc. sind schon seit langem Forderungen des Chaos Computer Clubs, aber der Kampf ist noch lange nicht ausgestanden, weil die Mächtigen sich sehr lange wehren werden. Kurz ist keineswegs sicher, ob dieser Kampf gewonnen werden wird.

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